Vor 20 Jahren: Ein Titan menschelt
In der langen Geschichte der Weltmeisterschaft hatte wohl kein Torhüter größeren Einfluss auf den Erfolg seiner Mannschaft als Oliver Kahn bei der Austragung in Südkorea und Japan 2002. Ein eigentlich eher mittelmäßiges DFB-Team drang seinetwegen bis ins Finale vor und kassierte auf dem Weg dorthin nur ein einziges Gegentor. Dann allerdings unterlief dem Titan ein entscheidender Fehler.
Die Weltmeisterschaft hat schon viele große Torhüter gesehen: Den legendären Lew Jaschin, der die Sowjetunion zwischen 1958 und 1966 zweimal ins Viertel- und einmal sogar ins Halbfinale führte. Oder den Engländer Gordon Banks mit seiner „Parade des Jahrhunderts” gegen Pelé bei der WM 1970. Oder natürlich auch Manuel Neuer, der die WM 2014 mit seinem modernen Torwartspiel prägte.
Ihnen allen blieb allerdings eine besondere Auszeichnung verwehrt: Der goldene Ball. Bis heute ist Kahn der einzige Torhüter der WM-Geschichte, der als bester Spieler des Turniers geehrt wurde – und das mehr als verdient.
Um die Jahrtausendwende war die deutsche Nationalmannschaft nicht gerade auf dem Höhepunkt ihres Schaffens. Bei der Europameisterschaft 2000 war man in der Vorrunde ausgeschieden, bei der letzten WM-Ausgabe 1998 im Viertelfinale. Auch 2002 hatte das DFB-Team in der Gruppenphase Probleme: Nach einem deutlichen Sieg gegen Saudi-Arabien mühte man sich gegen Irland und Kamerun. Auch dank Kahn, der nur ein Gegentor zuließ, erreichte man trotzdem als Gruppenerster die K.o.-Runde.
Bis zum Finale war der Titan nun unbezwingbar: Mit drei 1:0-Siegen gegen Paraguay, die USA und Gastgeber Südkorea zog Deutschland ins Endspiel ein. Die Mannschaftsleistung in allen drei Partien war überschaubar, doch sämtliche Gegner verzweifelten an Kahn im deutschen Tor.
Kahn verletzt sich und greift daneben
So durfte der Kapitän seine Mannschaft im Finale von Yokohama auf den Platz führen. Gegen das starbesetzte Brasilien war Deutschland nur Außenseiter, doch mit Glück und Kahn rettete man ein torloses Unentschieden in die Halbzeit. Kurz vor der Pause hatten die Querlatte und der Titan jeweils in höchster Not gerettet.
Nach Wiederanpfiff nahm das Unheil seinen Lauf: Bei einem Tritt von Brasiliens Torjäger Ronaldo zog sich Kahn einen Bänderriss im Finger zu. Dann die 67. Minute: Nach einem unnötigen Ballverlust von Dietmar Hamann schoss Rivaldo aus der Distanz und dem Unfehlbaren unterlief sein einziger Fehler im gesamten Turnier. Kahn ließ den Ball nach vorne abprallen, Ronaldo staubte zur brasilianischen Führung ab.
Durch einen weiteren Ronaldo-Treffer verlor das DFB-Team letztendlich mit 2:0. Die Bilder des geschlagenen Titanen, der mit leerem Blick am Torpfosten lehnt, gingen um die Welt. Die Auszeichnung mit dem goldenen Ball war nur ein schwacher Trost. Kahns Ausnahmeleistung bleibt jedoch von dem Fehler unberührt – und bis heute unvergessen.
Foto: AFP