Wer erinnert sich? Karel Poborsky, der tschechische Freigeist

Er erreicht nie die Strahlkraft seines Landsmannes Pavel Nedved und doch ist Karel Poborsky der Feldspieler mit den meisten Länderspieleinsätzen für Tschechien. In seinem Land ist der 2007 zurückgetretene Mittelfeldspieler eine Legende. So mancher deutsche Fußballfan, der 1996 erstmals bei einem internationalen Turnier mitfieberte, denkt mit einer Mischung aus Faszination und Schauder an spektakuläre Dribblings und eine wallende Lockenmähne.

Es war eine andere Zeit. Wer 1996 kein Kabelfernsehen hatte, für den blieben Infos zu den ausländischen Ligen Mangelware. Sicher, man konnte sich den Kicker kaufen und auf den hinteren Seiten unter „International“ die Ergebnisse und Torschützen nachlesen. Aber wer wäre schon auf die Idee gekommen, die tschechische Liga zu studieren?

Klar, beim Gruppengegner von Berti Vogts‘ Truppe in der Vorrunde kannte man die beiden Kaiserslautern-Legionäre Pavel Kuka und Miro Kadlec sowie die Schalker Radek Latal und Jiri Nemec. Aber sonst war das eine Wundertüte. Zum Auftakt siegte Deutschland dann auch routiniert in Manchester mit 2:0. Doch schon hier fiel dieser Wirbelwind im tschechischen Mittelfeld auf. Wegen des eingängigen Namens, wegen der offenen Langhaar-Frisur und weil er offenbar mit dem Ball etwas anfangen konnte.

Dieser eine geniale Moment im Viertelfinale gegen Portugal

Tschechien qualifizierte sich nur dank eines Überraschungssieges gegen Italien und wegen eines mit Ach und Krach eingefahrenen 3:3 gegen Russland für das Viertelfinale. Doch dort schlug die große Stunde des Karel Poborsky. Gegen Portugal, so zumindest meine Überzeugung, konnten die Tschechen eigentlich nicht gewinnen. Eine Truppe mit Namen, von denen man allgemeine noch nie etwas gehört hatte, gegen die Portugiesen mit Luis Figo oder Rui Costa. Klare Sache. Doch Tschechien hatte damals offenbar einen Wahnsinns-Teamgeist und hielt den eigenen Kasten sauber.

Und vorne hatte Tschechien einen Künstler. Im Laufe der Jahre hat man viele schöne Lupfer-Tore gesehen aber was Poborsky an diesem Tag machte, war besonders. Wider jeglichem vermeintlichen Naturgesetz schien er entschlossen, das Unmögliche möglich zu machen. Mit dem Ball am Fuß marschierte er durch die portugiesische Defensive, schien sogar den Abpraller vom Fuße eines Gegenspielers einzuberechnen und als er an der Strafraumkannte sah, dass der gegnerische Torwart zu weit vor seinem Tor stand, hob er den Ball gefühlvoll in hohem Bogen über den Schlussmann.

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Im Finale sehen sich Deutschland und Tschechien wieder. Die Tschechen galten erneut als Außenseiter, doch am heimischen Fernseher machte sich eine gewisse Unruhe breit. Der Gegner, über den man vorher nicht viel wusste, hatte diesen einen Spieler in seinen Reihen, bei dem man einfach nicht wusste, was er als Nächstes tun würde. Und wenn man jemanden nicht einschätzen kann, dann ist auch klar: Man kann ihn nicht kontrollieren.

Bei einem Konter raste Poborsky in unfassbarer Geschwindigkeit mit dem Ball am Fuß gen Tor. Deutschlands Libero Matthias Sammer holte eine verzweifelte Grätsche raus. Er traf ihn vor dem Strafraum, doch bei dem Affenzahn rutschten beide Spieler in den 16er hinein. Der anschließende Elfmeter saß, doch dank des heutigen Teammanagers Oliver Bierhoff drehte Deutschland die Partie.

Europameisterschaft 2004: Poborsky und Tschechien spielen Fußball zum Verlieben

Ganze acht Jahre später war Tschechien nicht mehr Außenseiter. Bei der Europameisterschaft 2004 in Portugal spielte die Mannschaft Fußball zum Verlieben. Trainer Karel Brückner gönnte sich hinter zwei Sturmspitzen mit Poborsky, Weltfußballer Pavel Nedved und dem aus Dortmund bekannten Tomas Rosicky gleich drei kreative Mittelfeldspieler und brachte zweitweise mit Marek Heinz auch noch den vierten. Das Vorrundenspiel gegen Holland, als die vor Spielwitz nur so strotzende tschechische Truppe einen 0:2 Rückstand in einen 3:2 Sieg umwandelte, ist eines der besten Fußballspiele aller Zeiten. Beim Siegtreffer in der 88. Minute zeigte Poborsky wieder einmal seine Genialität, als er einen vom Torwart abgewehrten Ball nicht selbst Richtung Tor jagte, sondern klug auf Vladimir Smicer ablegte.

Diese tschechische Mannschaft hätte damals den Titel holen sollen, scheiterte jedoch, wie alle anderen auch, im Halbfinale am Abwehrbollwerk der Griechen. Doch das ist eine andere Geschichte. Karel Poborsky wird allen Kindern der 90er jedoch immer für das Turnier im Sommer 1996 in Erinnerung bleiben.

(Foto: AFP)

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