Hype oder Hip? Tuchel und Nagelsmann als Vorreiter der „Laptop-Trainer“
Das heutige Champions-League-Halbfinale zwischen Paris St. Germain und RB Leipzig ist auch das Duell zwischen den Trainern Thomas Tuchel und Julian Nagelsmann. Beide sind Vorreiter einer neuen Trainer-Generation, die einerseits gehypt wird, andererseits auch auf Abweisung trifft. Und sie haben eine gemeinsame Vorgeschichte.
„Sie sprießen wie Pilze aus dem Boden und der deutsche Fußball wird sein blaues Wunder erleben“, erklärte der Ex-Fußballer Mehmet Scholl vor einigen Jahren in einer Radiosendung und holte damit zum Rundumschlag gegen die aufstrebende neue Trainer-Generation aus. Was genau er damit meinte, konnte man bestenfalls erahnen. Die Kinder, die unter der neuen Trainergeneration zu leiden hätten, dürften nicht mehr ins Dribbling gehen, könnten stattdessen aber „18 Systeme, rückwärts laufen und furzen“, so der Ex-Spieler kryptisch.
Scholl der sich ebenfalls mal als Trainer versucht hatte und nicht immer durch sachliche Argumentation auffiel, hat in einer anderen Zeit Fußball gespielt. Damals mussten Trainer von Profivereinen ein Stück weit „Elder Statesmen“ sein. Ottmar Hitzfeld lieferte sich damals mit Otto Rehhagel Duelle um die Meisterschaft. Letzterer wurde beim FC Bayern vom „Maestro“ Giovanni Trapattoni abgelöst.
Der FSV Mainz 05 musste als Verein mit relativ begrenzten Mitteln immer wieder innovativ sein und durchbrach schon früh die Konventionen zur Trainerbesetzung. 2001 wurde Jürgen Klopp zunächst interimsweise auf die Trainerbank gesetzt, ohne eine Lizenz zu besitzen. Der damals 34-Jährige hatte kurz zuvor noch selbst mit der 1. Mannschaft auf dem Platz gestanden. Doch mit seinem Charisma und seiner Gabe, Fußball einfach zu erklären, gewann Klopp nicht nur die Mannschaft, sondern als TV-Experte später auch ganz Fußball-Deutschland für sich.
Woher kommt die Skepsis?
Als Mainz 2009 wieder mal auf Trainersuche war – Klopp war mittlerweile zum BVB gewechselt – setzte Manager Christian Heidel sogar noch einen drauf und stellte diesmal einen U-40er an, der noch nicht mal eine eigene Profikarriere vorweisen konnte: Thomas Tuchel. Genau wie Klopp konnte Tuchel sich durchsetzen und ist heute ebenfalls international anerkannt.
Als Tuchel 2008 noch die U19 des FC Augsburg trainierte, assistierte ihm der grade erst 21-jährige Julian Nagelsmann. Dieser wurde später sogar noch vor seinem 30. Geburtstag Cheftrainer bei der TSG Hoffenheim – ein weiterer Dammbruch. Seine Erfolge inspirierten möglicherweise auch andere Bundesligisten dazu, sehr jungen Trainern wie Hannes Wolf, Florian Kohfeldt oder Domenico Tedesco eine Chance zu geben.
Doch was stört Menschen wie Mehmet Scholl eigentlich an jungen Cheftrainern in der Bundesliga. Aus den Worten des Ex-Spielers lässt sich eine gewisse Skepsis gegenüber der Sportwissenschaft herauslesen. Schließlich sind die genannten allesamt Absolventen der DFB-Akademie. Natürlich haben sie allesamt auch selbst gespielt, jedoch hat keiner von ihnen ein Länderspiel absolviert, keiner hat im UEFA Cup Schienbeine malträtiert.
Fußball-Puristen können sich entspannen
Stattdessen nutzen sie wissenschaftliche Erkenntnisse, um sich der Materie zu nähern und Mannschaften zu verbessern. Können bald nur noch Akademiker Erstligatrainer werden? Der leicht abwertende Begriff vom „Laptop-Trainer“ machte die Runde. Schließlich nutzen Trainer heutzutage auch technische Hilfsmittel, um beispielsweise Leistungsdaten zu sammeln und auszuwerten. Kann man sich die Fußball-Coaches bald als nerdige Ipad-Hipster vorstellen, denen die Mate aus der Hand fällt, sobald „echte Kerle“ auf dem Platz mal ein Wort mit „Sch…“ brüllen?
Fußball-Puristen dürfen durchatmen und das ganze etwas lockerer sehen. Schließlich wird am Ende immer der Erfolg über eine Besetzung entscheiden. Tuchel und Nagelsmann stehen mit ihren Teams im Halbfinale, dagegen gibt es keine Argumente. Auf Schalke haben sich in den vergangenen Jahren mehrere Jungtrainer die Zähne ausgebissen, da half keine Akademie. Und als das Bundesliga-Urgestein Friedhelm Funkel 2018 als Cheftrainer von Fortuna Düsseldorf in die 1. Bundesliga aufgestiegen war, stellte er in aller Nüchternheit fest: „Natürlich habe ich auch einen Laptop“.
(Foto: RB Leipzig)