Die Schwalben des jungen Werner
Nachdem Timo Werner im Länderspiel gegen Rumänien einmal mehr die Bodenhaftung verlor, brach eine Welle der Entrüstung über ihn herein. Es ist nicht das erste Mal, dass der Stürmer das Ziel von Anfeindungen wird. Der Chelsea-Profi ist daran zwar nicht unschuldig, der Umgang mit ihm ist dennoch teilweise nicht fair.
Nicht einmal fünf Minuten des WM-Qualifikationsspiels gegen Rumänien waren absolviert, als sich die deutsche Sturmspitze erstmals in der Horizontalen befand. Nach einem leichten Kontakt mit seinem Gegenspieler ging Werner im Strafraum zu Boden. Ohne den Eingriff des VAR hätte es dafür tatsächlich einen Elfmeter gegeben. Jener deckte jedoch zusammen mit dem Schiedsrichter – in einer erstaunlich langen Überprüfung – auf, dass an den Füßen keine Berührung stattgefunden hatte und der Rempler mit dem Oberarm niemals für einen Elfmeterpfiff reichte.
All jene, denen die Fallsucht vieler Fußballprofis ohnehin berechtigterweise ein Dorn im Auge ist, sahen sich in ihrer Meinung über Werner bestätigt. Das Internet lief warm, schon bald glühten die Kommentarspalten. Eine bissige Bemerkung überbot die andere. „Schwalbenkönig” und „WernAIR” gehörten dabei noch zu den netteren Wortmeldungen.
Werner Eiskalt – aber leider nicht vor dem Tor
Die Neymar-Krankheit ist zweifellos eines der größten Ärgernisse im modernen Fußball. Werner gilt spätestens seit einem Bundesligaspiel gegen Schalke im Dezember 2016 als infiziert. Im Trikot von Leipzig holte er mit einer klaren Schwalbe einen Elfmeter heraus. Weil der Videobeweis erst in der folgenden Saison eingeführt wurde, konnte damals niemand verhindern, dass Werner den unberechtigten Strafstoß auch noch selbst verwandelte. Seitdem steht er wie kein zweiter deutscher Spieler für die Sorte Fußballprofi, die dem Rollrasen regelmäßig eine zusätzliche Wortbedeutung hinzufügt. Er wird diesem zweifelhaften Ruf auch durchaus gerecht: Werner scheint tatsächlich im Vergleich zu seinen Kollegen von der Schwerkraft stärker und häufiger betroffen zu sein.
Die Aktion im Länderspiel unterschied sich allerdings deutlich von Werners Sündenfall gegen Königsblau. Im Gegensatz dazu wurde er nämlich diesmal von dem rumänischen Verteidiger leicht gestoßen. Werner hätte nicht fallen müssen, tat es aber, weil der Ball außer Reichweite geriet. Einen Fairness-Preis gibt es dafür zwar nicht, eine Schwalbe ist allerdings auch eine eigenwillige Interpretation der Szene. Der gleiche Vorgang hätte bei jedem anderen Spieler höchstwahrscheinlich kaum Beachtung gefunden. Der digitale Furor war – wie üblich – überzogen.
Stattdessen sollte man Werner eher leistungsbezogen kritisieren. Hier liegt nämlich die Schwalbe im Pfeffer. Der 25-Jährige ist aktuell weit von seiner Form aus Leipziger Zeiten entfernt. Eigentlich waren Antritt und Geschwindigkeit immer seine Trumpfkarten, doch in der laufenden Spielzeit kann er diese bislang erstaunlich selten ausspielen. In der Premier League kam er zwar in sechs von sieben Saisonspielen zum Einsatz, stand dabei allerdings nur dreimal in der Startelf und absolvierte nicht einmal die Hälfte der möglichen Spielminuten.
Auch in der Nationalmannschaft ist noch viel Luft nach oben. Gegen Rumänien blieb der Hechtsprung im Strafraum seine auffälligste Aktion. Eine gute Stunde und zwei missglückte Torschüsse später wurde Werner ausgewechselt. Beim Abschluss hat er nach wie vor die größten Defizite. Der Bundestrainer sollte bei den nächsten Länderspielen über Alternativen für die Sturmspitze nachdenken – allerdings nicht wegen Werners Tiefflugs, sondern wegen seines Formtiefs.
Foto: AFP