DFB-Team sieglos, aber zuversichtlich: Die Rückkehr der Realitätsverleugnung
Beim 3:3-Unentschieden in Wembley verspielte die deutsche Nationalmannschaft leichtfertig eine Zwei-Tore-Führung und kam letztlich glücklich zum Ausgleich. Damit hat das DFB-Team nur eines der letzten sieben Spiele gewonnen. Trotzdem demonstrierten alle Beteiligten nach dem Abpfiff Zuversicht. Das erinnert an die Realitätsverleugnung vergangener Tage.
Im Vergleich zur Ungarn-Pleite war gegen die Three Lions grundsätzlich eine Steigerung erkennbar. Besonders nach der Pause bestimmte die deutsche Auswahl die Partie und münzte ihre Überlegenheit in zwei Tore um. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass diese ohne Harry Maguire wohl nicht zustande gekommen wären. Der englische Innenverteidiger verursachte zunächst einen völlig unnötigen Elfmeter und machte dann mit einem Ballverlust im Dribbling das Havertz-Traumtor erst möglich.
Wenn das DFB-Team nun die Führung verwaltet und den Sieg über die Zeit gebracht hätte, wäre es tatsächlich eine erfolgreiche Generalprobe vor der Winter-Weltmeisterschaft gewesen. Doch stattdessen kassierten die Gäste drei Gegentore innerhalb von rund elf Minuten. Nur zur Erinnerung: England hatte zuvor in fünf Nations-League-Partien einen einzigen Treffer erzielt – per Elfmeter ebenfalls gegen Deutschland.
Dass das DFB-Team am Ende nicht die zweite Niederlage in Folge hinnehmen musste, hatte man dem englischen Torhüter Nick Pope zu verdanken. Als der einen relativ harmlosen Schuss nicht festhalten konnte, staubte Doppelpacker Kai Havertz zum Ausgleich ab.
Zusammenfassung: Drei Gegentore, drei Fehler der Gastgeber und ein Geniestreich. Sonderlich zufrieden konnte man gegen die kriselnden Engländer mit so einer Bilanz eigentlich nicht sein – und dabei wurde die erste Halbzeit noch gar nicht erwähnt. In dieser hatte die deutsche Mannschaft zwar mehr Ballbesitz, blieb aber gänzlich ohne Schuss auf das gegnerische Tor. Die besseren Chancen hatten die Three Lions und nur dank Marc-André ter Stegen ging es mit dem torlosen Unentschieden in die Pause.
Zu viel Zuversicht
In den Interviews nach dem Spiel zogen die Mannschaft und der Bundestrainer ein gemischtes Fazit. Zwar war man natürlich unzufrieden mit der verspielten Führung, doch insgesamt bewertete man den Auftritt als gelungen. Hansi Flick nahm „viele positive Dinge mit, aber auch ein paar negative”. Joshua Kimmich fand, dass man „alles im Griff” hatte. İlkay Gündoğan hielt das Erreichen des WM-Finales weiterhin für „nicht unrealistisch”.
Dabei spricht angesichts der letzten Ergebnisse nichts dafür. Schon das Weiterkommen in der Gruppe wird für die deutsche Auswahl kein Selbstläufer. Im Achtelfinale wartet dann wahrscheinlich mit Belgien oder Kroatien ein ebenbürtiger Gegner. Insofern wäre das Viertelfinale schon ein Erfolg. Gegen formstarke Spitzenteams wie Brasilien, Argentinien oder die Niederlande hätte man derzeit wohl größte Probleme.
Die Ausgangslage erinnert ein wenig an die letzten beiden Großereignisse. Auch bei der WM 2018 und der EM 2021 verlief die Vorbereitung suboptimal, doch beim DFB-Team sprach man trotzdem vom Titel. Der Ausgang ist bekannt. Nun hat die Realitätsverleugnung längst noch nicht das Ausmaß der späten Löw-Ära erreicht, doch man sollte besser früher als später die Dinge beim Namen nennen: So wie zuletzt wird niemand Weltmeister.
Foto: AFP