Der Gekränkte: Warum der Interview-Abbruch von Toni Kroos völlig daneben war

Tony Kroos drängt Mohamed Salah ab.

Toni Kroos hat in seiner Karriere jetzt schon fast alles erreicht und kürte sich mit seinem fünften Champions League Sieg zum alleinigen deutschen Rekordhalter. Umso trauriger, dass sein Verhalten nach dem Finale eines Champions nicht würdig war.

Über die Sinnhaftigkeit von Field-Interviews im Fußball kann man trefflich streiten. Wenn man ehrlich ist, liefern sie selten wirklich neue Erkenntnisse und über platte Phrasen kommen wenige hinaus. Aufsehen erregen wenn überhaupt nur Kontrollverluste der Befragten. Blöckt ein Matthäus ins Mikro, schnauft ein Völler in seinen Schnauzbart oder erzählt ein Mertesacker etwas von Eistonnen, so bleibt es im kollektiven Gedächtnis und ist auf zahllosen Youtube-Compilations zu finden.

Aus Reporter-Sicht ist die Gemengelage nicht so einfach, wie sich das Otto-Normalfan vor dem Fernseher wohl oftmals vorstellt. Wie kitzelt man informativen Mehrwert aus den erschöpften Kickern heraus, vermeidet es, die immergleichen Standard-Fragen zu stellen und stellt dabei noch sicher, dass sich der Interview-Partner nicht auf den Schlips getreten fühlt?

Der ZDF-Mann Nils Kaben hat dies nach dem Champions League Finale 2022 bei Toni Kroos versucht und ist bei dem Mittelfeldspieler derart in Ungnade gefallen, dass dieser ihn wie einen begossenen Pudel allein vor seiner Kamera stehen ließ und deutliche Worte fand: „Du hattest 90 Minuten Zeit und dann kommen zwei solche Scheißfragen“, kritisierte Kroos. Und er legte noch nach: „Du fängst mit zwei negativen Fragen an, da sieht man, dass du aus Deutschland kommst“.

Was war passiert? Zunächst muss man Kroos widersprechen, denn der Einstieg von Kaben war keinesfalls „negativ“, sofern dieses Attribut überhaupt passt. Kaben ließ den Strategen von Real Madrid nämlich erst einmal von seinen Glücksgefühlen berichten und wie besonders es für ihn sei, zum fünften Mal die Königsklasse zu gewinnen und diesmal seine komplette Familie im Stadion dabei zu haben.

Dann versuchte Kaben einen eigentlich lobenswerten Ansatz, nämlich Allgemeinplätze zu vermeiden und stattdessen die Geschichte dieses speziellen Spiels nachzuvollziehen. Und diese lautete: Liverpool war das eindeutig bessere Team und hatte eine Reihe von Großchancen. Real-Keeper Courtois hatte einen sehr guten Tag erwischt und war von Salah, Mané & Co. einfach nicht zu bezwingen. Real verwandelte eine der zwei nennenswerten eigenen Torchancen und gewann so am Ende das Spiel.

Kroos zu sehr mit seinem Ego beschäftigt

Ziemlich eindeutig, dass Kaben genau dies beschrieb, als er formulierte, dass Madrids Sieg „nicht selbstverständlich“ war und ob es „überraschend“ gewesen sei, dass „Real so unter Druck war“. Kroos war not amused und die Dinge nahmen wie beschrieben ihren Lauf. In den folgenden Tagen entstand in der deutschen Medienlandschaft eine lebhafte Debatte, in der auch Vokabeln wie „respektlos“ oder „Haar in der Suppe“ kursierten.

Halten wir mal fest: Aufgabe des Reporters ist es weder, den Fußballer auf Teufel komm raus zu provozieren, noch ihn mit Lob zu überschütten. Er sollte lediglich Fragen formulieren, die zum Spielverlauf passen beziehungsweise diesen widergeben. Insofern läuft Kroos Unterscheidung zwischen positiven und negativen Fragen bereits ins Leere, da sie ausschließlich auf das Ego des interviewten Fußballers abzielt und nicht auf eine Analyse des Spiels.

Und selbst wenn: Die Fragen des ZDF-Manns waren in keinem Sinne abwertend, provokant oder unverschämt. Ohne die übertriebene Reaktion des Spielers wäre dies nur ein weiteres Field-Interview gewesen, über das kein Mensch mehr gesprochen hätte.

Vielmehr sagt das ganze einiges über Toni Kroos aus. Der Weltmeister von 2014 ist mit einer überragenden Technik und einer sagenhaften Übersicht ausgestattet. Trotzdem entschied sich der Vorstand des FC Bayern nach dem Turnier in Brasilien dagegen, ihn in die Riege der Top-Verdiener aufzunehmen. Es folgte der Transfer zu Real Madrid, wo Kroos seither vier weitere Champions League Titel sammelte. Er hat es allen gezeigt, könnte man meinen. Doch für Kroos ist es offenbar nicht genug, allein sportliche Tatsachen sprechen zu lassen. Der Stachel des ausgebliebenen Respekts sitzt offenbar tief.

Der Kinofilm über ihn selbst ist eine 110-minütige Lobhudelei, deren einziger Inhalt aus der Feststellung besteht, wie sehr Kroos trotz seiner Erfolge auf dem Boden geblieben sei und wie dominant er bei Real denke und lenke. Als Höhepunkt hat es der O-Ton von Uli Hoeneß in die öffentliche Rezeption geschafft, in dem Bayerns Ehrenpräsident zugibt, der Verkauf von Kroos sei ein Fehler gewesen. Nach der verkorksten WM 2018 äußerte sich der sprunghafte Hoeneß dann bekanntlich wieder ganz anders über den Mittelfeldspieler. Auch Karl-Heinz Rummenigge zog kürzlich Bilanz: „Kroos hat alles richtig gemacht aber der FC Bayern hat auch nicht alles falsch gemacht“.

Von Kevin-Prince Boateng lernen

Und Stichwort WM 2018: Auch in Russland zeigte sich der Greifswalder überraschend dünnhäutig, als er nach seinem Last-Minute-Siegtor im zweiten Gruppenspiel gegen Schweden den Field-Reporter wissen ließ: „In Deutschland hätten sich wohl viele gefreut, wenn wir heute schon ausgeschieden wären“. Zur Erinnerung: Die deutsche Mannschaft hatte im ersten Gruppenspiel gegen Mexiko eine desolate Vorstellung geliefert und speziell die Rückwärts-Bewegung war sehr kritisch analysiert worden – was also auch unmittelbar den Real-Star betraf. Auch hier hat Toni Kroos nüchterne Analyse beziehungsweise berechtigte Kritik mit boshaftem Argwohn verwechselt. Vielleicht sind ihm die Erfolge beim Weltklub Real Madrid doch mehr zu Kopf gestiegen, als es seine filmische Biographie suggeriert.

Dass Kroos nun in seiner Rage instinktiv die deutsche Herkunft des gescholtenen Fragenstellers herbeizitiert, zeigt doch nur: Er hat offenbar noch eine Rechnung offen und fühlt sich von der Öffentlichkeit seines Heimatlandes nicht ausreichend respektiert. Als Gewinner des Abends und neuer Rekordhalter hätte er ja alle rhetorischen Trümpfe in der Hand gehabt, um auf die vermeintlich unangemessenen Frage zu reagieren: Von Huldigung des starken Gegners („Klar, sie haben eine grandiose Mannschaft, da muss man sich schon was einfallen lassen“) über Huldigung des eigenen Trainers („Er hat uns gesagt, dass sie draufgehen werden aber dass unser Moment kommen wird“) bis zum arroganten Abkanzeln („Was willst du? Wir haben den Pokal und nicht die.“) wäre alles drin gewesen. Doch Kroos entschied sich, getrieben von seiner gekränkten Eitelkeit, für die einzige Variante, die alle Beteiligten unglücklich aussehen lässt.

Wie man übrigens ein solches Interview mit Stil über die Bühne bringt und weder sich noch den Reporter bloßstellt, demonstrierte wenige Tage zuvor ein anderer Mittelfeldstratege. Denn auch Kevin-Prince Boateng bekam wenige Minuten nach einem kräftezehrenden Endspiel Fragen zur problematischen Saison seines Klubs Hertha BSC gestellt. Auch er hatte eine gute Leistung gezeigt und war als Sieger vom Platz gegangen. Trotzdem war er auf das schwache Hinspiel angesprochen worden und ob das Rückspiel eine Reaktion darauf gewesen sei. „Auf jeden Fall“, antwortete Boateng, ohne mit der Wimper zu zucken. „Schlechter als im Hinspiel hätten wir auch nicht mehr spielen können“.

Der Mann, dem früher mal charakterliche Defizite vorgeworfen wurden, brach sich keinen Zacken aus der Krone, auch im Moment des Triumphes vermeintlich „negative“ Fragen zu beantworten. So demonstrierte er Souveränität und trug sich ganz nebenbei noch mit der launigen Anekdote in die Geschichtsbücher ein, dass Trainer Felix Magath ihn die Aufstellung habe festlegen lassen. Fußball-Deutschland schmunzelte, anstatt eine aufgeregte Debatte um Respektlosigkeiten und gekränkte Spieler führen zu müssen.

Hier der entspannte Kosmopolit aus der Hauptstadt – dort die beleidigte Leberwurst aus Greifswald. Urteilen Sie selbst!

Foto: AFP

1 Kommentar

  1. Guter Artikel!
    Selbst HW4 oder Draxler hätten mit dieser Mannschaft von Real in den letzten Jahren die CL geholt.

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